Kapitel 5 der Serie
Zügel und Galon auf dem nosleeves_classic Oberteil bilden eine perfekte Linie.
Marie-Charline Herld in einem outfit von CENTAURALSTUDIO auf Yerbero.
Wie es weiter ging - Rückblick auf das vierte Kapitel
Der letzte Artikel führte uns von Elisabeth II von Österreich-Ungarn über den endgültigen Paradigmenwechsel von Reitkunst zu Reitsport in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, und zu den Erfolgen der deutschen Equipe im Dressurreiten. Wir erfuhren dass Gustav Steinbrecht noch ein der Reitkunst verschriebener Ausbilder gewesen war, seine Lehre aber in einer Heeresvorschrift verarbeitet wurde. Die Reitlehre, im 18. Jahrhundert noch eine Sache der upper class und der elitären Reitakademien, war nun eine kriegsrelevante Angelegenheit geworden. Die in der Heeresdientvorschrift Nr. 12 festgelegten Statuten der Ausbildung von Reiter und Pferd wirken bis heute in den Richtlinien der FN fort. Reitkunst um die letzte Jahrhundertwende war eine Sache der der Frauen und des Zirkus. Es gab berühmte Kunstreiterinnen. Diesem bei der Recherche zum Blog entdeckten Umstand werden wir sicherlich noch ein ganz eigenes Kapitel widmen. Doch jetzt wollen wir uns erst einmal mit der Kunst an sich befassen.
Mit dem Ende des ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Monarchie konnte sich die Gesellschaft neu ordnen und einer Demokratie, wie wir sie heute kennen, den Grundstein legen. Mit allen entsetzlichen Verwirrungen in Folge.
Die längst zunächst durch beispielsweise die Bewegung des Jugendstils entwickelten, von Künstlern wie Wassily Kandinsky theoretisch erfassten und durch Walter Gropius und das Bauhaus verbreiteten Ideen einer befreiten Kunst, konnten nun mit enormer Geschwindigkeit sich ihren Weg bahnen. Der Umbruch in die Moderne - von den Nazis als Entartung diffamiert - geschah in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Dadurch hat sich der Kunstbegriff, und auch wie wir Kunst heute betrachten, enorm gewandelt.
Um moderne Kunst zu verstehen braucht man in der Regel eine Vorbildung, oder eine Einweisung. Dies führt häufig zu Missverständnissen, da sich die Werke nicht immer von selbst erklären.
Hauptmerkmale der Moderne sind die Autonomie von Form, Farbe und Material.
Ein für die Kunst der Gegenwart entscheidend prägenden Künstler ist Joseph Beuys. Dies vor allem in seiner Eigenschaft als Kunsttheoretiker und als Professor für Bildhauerei (1961 - 72) an der Kunstakademie in Düsseldorf. Beuys vertrat in seinem Unterricht die von ihm entwickelten avantgardistischen Ideen eines neuen, sogenannten erweiterten Kunstbegriffes, der für eine die Gesellschaft verändernde ästhetische Erziehung steht
und zog eine grosse Vielfalt unterschiedlicher künstlerischer Positionen in seiner Schülerschaft an.
Beuys wurde sogar aus der Akademie entlassen, weil er vehement dafür eintrat, jeden Anwärter auf einen Platz in seiner Klasse zuzulassen. Er bezog ganz klar Stellung gegen eine Elitenbildung und handelte damit nur konsequent. Wer aus seiner Sicht eine Laufbahn als Künstler einschlagen wollte, sollte auch die Möglichkeit dazu bekommen. Das überforderte die Gesellschaft der 1970er Jahre. In Folge des Rauswurfs unterzog sich Beuys einem seine Person massiv diffamierenden Kampf seinen Unterricht dennoch fortsetzen zu können.
Die Klasse Beuys hat eine so grosse Zahl wichtiger Künstler hervorgebracht wie nur wenige Klassen zuvor, u.a. Gerhard Richter, Jörg Immendorf, Katharina Sieverding, Blinky Palermo, um einige Namen zu nennen.
Charakteristisch für Beuys war auch sein stets durchdachtes outfit. Man kennt ihn praktisch nicht ohne Hut.
nach Beuys geht davon aus, dass alles intendierte Schaffen des Künstlers bereits Kunst ist, und die Werke quasi wie Momentaufnahmen dieses ständigen Schaffensstromes sind. Damit widmet der Künstler sein Leben der Kunst an sich und schliesst das Private, Unkünstlerische, das nicht Intendierte aus. Beuys selbst hat in jedem Fall so extrem gelebt.
Der erweiterte Kunstbegriff nimmt insbesondere den Entstehungsprozess, den Prozess an sich, den Flow, den Moment, das Konzept und die Interaktion in den Kunstbegriff auf und bricht so die Tradition des Werksgedankens, welcher die Kunst erst entstehen lässt, wenn das Werk vollendet ist.
Dabei geht Beuys für sein eigenes Schaffen sogar so weit einen Zerfall zu planen und die Materialität seiner Arbeiten wieder in den Ursprungszustand zurückzuführen, um nicht das Erbe späterer Generationen zu belasten.
Darüber hinaus wird auch die Palette der künstlerischen Techniken erweitert, insbesondere um den Bereich der Performance, der - temporären - Installation, der Inszenierung. Eine weitere, geradezu bahnbrechende Neuerung war die Interaktion mit dem Rezipienten oder einem Publikum. Der Kunstbetrachter wurde zum aktiven Teil der Kunst, indem er bewusst oder unbewusst in das Werk eintrat und somit wiederum von anderen als Kunst betrachtet wurde.
Diese neuartige interaktive Kunst entsprach dem Zeitgeist und wurde beispielsweise auch von der FLUXUS Bewegung genutzt. Interaktion als Technik wird in etlichen Werken heute geradezu selbstverständlich angewendet.
Oft beschäftigt sich Beuys mit Energie. Und er tritt auch selbst als Teil seiner Aktionskunst auf und wird zum Performer.
Ein weiterer wichtiger Impuls von Beuys ist die Idee der Sozialen Plastik und des Gesamtkunstwerkes. Gemeint ist, dass eine Welt-Gesellschaft in ihren Handeln permanent an einer gemeinsamen Plastik arbeitet. Es ist eine Idee die quasi jeden Menschen zum Künstler macht, der somit seinen Teil zum Gesamtkunstwerk beiträgt. Diese Idee hat einen tief ethischen Ansatz, der nicht religiös ist.
Beuys sah in der - nicht mehr einer Elite gehörenden - Kunst die Möglichkeit, die Welt im positiven Sinn zu verändern. Er war Gründungsmitglied der Partei ‚Die Grünen‘ und schaffte es trotz einer Welle der Verachtung und Respektlosigkeit das Projekt ‚7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung‘ anlässlich der documenta ’82 auf den Weg zu bringen. Heutzutage sind die Eichen wahre Pilgerstätten. Es ist zu einem gesellschaftlichen Konsens geworden, Bäume mit einer positiven Absicht zu pflanzen.
Würde man das eigene Leben als ein Kunstwerk ansehen und jeden Tag, den man darin verbringt als einen Tag, den man aktiv an diesem Werk arbeitet, ist im Sinn des erweiterten Kunstbegriffes auch das Pflanzen eines Baumes Kunst.
Beuys mit Filzdecke, Pilgerstab und Koyote 'Little John' - er war einer der ersten Künstler, der mit lebenden Tieren arbeitete. Diese Aktion in der Galerie trägt den Titel 'I like America and America likes me' - Der Koyote ist ein Vertreter des Ur-America anwesend, jenes Kontinents der noch unendeckt gewesen war und von der Natur bestimmt wurde, also vor Kolumbus.
Eine für die Zeit, und sicher auch für manch einen heute, höchst irritierende Aktion ist ‚I like America and America likes me‘ welche 1973 in der Galerie René Block in New York stattgefunden hat. Beuys liess sich hierzu für mehrere Tage mit einen Kojoten namens ‚Little John‘ in der Galerie einschliessen. Einen Kommentar hierzu beginnt er mit:
„Warum arbeite ich mit Tieren, um unsichtbare Kräfte auszudrücken?“
Auch wenn er in Folge andere Schlüsse zieht, ist dieses als Frage formuliertes Statement bemerkenswert. Man kann behaupten, dass die Begegnung von Mensch und Tier auch für das Tier etwas freisetzt, was es nicht mit anderen Tieren entwickeln würde.
Die friedliche Begegnung von Mensch und Tier macht für beide Spezies einen unsichtbaren Raum auf, den jede Spezies für sich nicht erleben könnte.
Vielleicht ist allein das der Grund weswegen Tiere sich überhaupt für uns interessieren.
Josef Beuys performte sogar mit einem Pferd.
Titus Andronicus / Iphigenie war eine Kunstaktion des deutschen Künstlers Joseph Beuys (1921–1986) bei der experimenta 3, veranstaltet von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main vom 29. Mai bis 7. Juni 1969.
Im nächsten Kapitel erfahren wir wie die künstlerischen Techniken des erweiterten Kunstbegriffs nach Josef Beuys auf die Reitkunst Anwendung finden könnten. Das ist eine erstaunliche Möglichkeit uns in der Beziehung zu unserem Pferd neu zu definieren und enthält vor allem eine Friedensbotschaft.
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