Kapitel 3 der Serie
Foto: Auch Dressurpferde gehen gern ins Gelände. In der Abwechlung liegt auch eine Form der Kunst. Die Jacke 'Racer' von CENTAURALSTUDIO wurde von der klassichen Rennbekleidung inspiriert.
Wie es weiter ging - Rückblick auf das zweite Kapitel
Im zweiten Beitrag haben wir erfahren, wie sehr Pferdewissen und seine Verbreitung an die kulturelle Entwicklung der europäischen Gesellschaft und der Stände geknüpft ist. Wir stellten die Frage, ob Reitkunst möglicherweise eine Übertragungsinterpretation des Übersetzers ist, der Begriff aber dennoch eine Akzeptanz und Allgemeingültigkeit bekommen hat, die keiner in Frage stellt. In diesem Teil überlegen wir, warum die Reitkunst verschwunden ist.
Zunächst als Anglophilie, also eine Vorliebe für alles Englische bezeichnet, nutzten beispielsweise der französische Philosoph Voltaire und später auch etliche deutsche Dichter der Aufklärung, englische Worte und führten sie in den jeweiligen Wortschatz ein. Man sah in England den Ruf nach Freiheit, z.B. der Religionswahl, deutlich höher entwickelt und setzte damit im Grunde ein politisches Zeichen.
Neben der sprachlichen Aneignung entwickelte sich aber auch ein Trend für englischen lifestyle und somit auch für die britische Reitkultur. Dort hatte sich bereits im 17. Jhd. als Wettkampf junger Adeliger der Rennsport etabliert, eine komplett andere Ausrichtung des Reitens als auf dem Kontinent. Auch dieser war an das Königshaus und den Adel geknüpft: bereits im Jahr 1671 konnte der englische König Charles II mit seinem Pferd einen Sieg in New Market erringen. Bis heute betreibt das englische Königshaus einen eigenen Rennstall. Die englischen Adelsgesellschaft vertrieb sich ausserdem die Zeit mit Jagden zu Pferd. Für den einen ist es eine Bereicherung, für den anderen eine Manie, die britischen kulturellen impacts in die eigene hereinzulassen.
Whistlejacket, 1760 Gemälde von George Stubbs, 1724 - 1806
In seinem 1865 veröffentlichen Buch ‚Folgen der Anglomanie‘ analysiert Dr.jur. R. Jannasch die Situation aus Sicht des Pferdezüchters retrospektiv. Zunächst nimmt er im Kapitel Anglomanie an, dass die englische Pferdezucht durch die Fantasie, welche in einem möglichen Rennerfolg liegt, den Preis für ein junges Pferd enorm in die Höhe treiben konnte.
Daraus folgt: ‚Fast alle (deutschen, ergänzt) Pferdezüchter, teils durch den Reiz der Neuheit, teils durch die Hoffnung, Gewinn daraus zu ziehen, wurden von dieser Rennpferdeepidemie angesteckt. Alles rannte, Menschen und Pferde! Alle alten Reitgäule sollten und mussten rennen lernen; gefielen aber als Akteurs sich selbst und ihren Besitzern so schlecht in ihrer neuen Rolle, daß Letztere die Hoffnung aufgeben mussten, aus ihnen Rennpferde zu bilden. Nach diesen fruchtlosen Versuchen mussten dann Maßregeln und Vorkehrungen getroffen werden auch in Deutschland Rennthiere zu erzeugen. Allein diese Aufgabe war nicht anders zu lösen, als durch Einführung von englischen Rennhengsten und Rennstuten, welche als etwas Auserlesenes und ungewöhnliches mit unseren deutschen Pferderacen gekreuzt wurden. Von diesem Zeitpunkte an datiert sich der rapide Verfall unserer Pferdezucht: Denn man paarte Extreme und züchtete Krüppel!“
Man kann in diesem Zitat durchaus auch die Angst vor dem Fremden und dem Massenphänomen sehen. Alles rennt! Heute werden ihm die einen recht geben, die anderen nicht. In der Tat hat aber die Einkreuzung der Vollblüter den Genpool der anderen europäischen Pferderassen sicher verändert. Die auf Tragkraft und erhabene Gänge gezogenen Pferde der Barockzeit waren fraglos nicht so schnell, wie die langbeinigen Hunter und Vollblutpferde aus Great Britain. Sie kamen aus der Mode.
Darüber hinaus muss eingeräumt werden, dass in der Pferdewette, die von Anfang an dem Rennen anhängt, ein dramatischer Einfluss auf die Haltung zum Pferd inne wohnt. Es entsteht ein Leistungsdruck der auf der Investition in das Jungpferd basiert. Wir spüren den gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Wandel im Hintergrund. Wir nähern uns der Kapitalgesellschaft. Einhergehend mit dem Beginn der Industrialisierung gerät das Reiten als Kunst aus dem Fokus. Diese Entwicklung wird noch von weiteren Faktoren begünstigt.
Friedrich II von Preussen (1712 - 1786) erkannte die Bedeutung der Kavallerie für ein siegreiches Heer und so entstand mit der Erfindung der bewaffneter Reiterheere ein entscheidender Einschnitt in die Reitlehre. In kürzester Zeit mussten Pferde und Reiter ausgebildet werden, und dies nicht zum Zweck, in kunstvoller Manier in der Reitbahn zu traben. Beispielsweise das berühmte Gestüt Trakehnen kann man als eine Art Rüstungsindustrie sehen, denn hier ging es darum Pferde in grosser Zahl für das Heer zu züchten.
Während sich ‚der alte Fritz‘ noch in barocker Manier auf einem piaffierenden Ross malen liess, übten seine Dragoner wie man eine Attacke im Pulk reitet. Das Pferd war vom Repräsentanten der Mächtigen zum Motor der Macht geworden. Im 18. u. 19. Jhd. ist das Pferd schliesslich erneut kriegsrelevant geworden, vor allem durch die schiere Masse.
Im Ausklang des 19.Jhd. kommt es zu einer neuen Begriffsbildung: Dressur. Es bezeichnet das sportliche Pendant zum ursprünglichen Prinzip Reitkunst: Die «Gesellschaft zur Prämierung gut dressierter Campagne-Pferde», veranstaltet am 25. April 1873 in Pressburg (heute: Bratislava) das erste Preisreiten mit Anforderungen an die Präsentation des Pferdes in bestimmten Gangarten oder Lektionen. Prüfungen im Dressurreiten fanden von da an in ganz Europa statt. Zum Vergleich ihres Könnens treten in diesem Fall Offiziere an. Die Reitlehre war von der Reitakademie weg in den Kompetenzbereich des Heeres geraten. 1882 trat die erste Vorschrift ‚Instruktion zum Reitunterricht für die Kavallerie‘ in Kraft. Dressur ist das Nominativ zu ‚dressieren‘. Das etymologische Wörterbuch Kluge schreibt: < 16Jhd.‚entlehnt aus alt-frz. Dressur, dieses aus spl. directare ‚herrichten‘, aus dirigere ‚ausrichten’zu regere ‚ lenken, leiten; zunächst gebraucht für das Abrichten der Hunde für die Jagd. Der Begriff Dressurreiten weisst auf eine ganz andere Tätigkeit hin als der Begriff Reitkunst.
Dieses Foto von 1971, eine Galopp-Pirouette geritten von Patrick le Rolland im Cadre Noir, Saumur illustriert jenen Paradigmenwechsel, der 100 Jahr zuvor stattgefunden hat. Das Pferd wird beidhändig auf Kandare mit deutlich Zügelkontakt geritten.
Einen interessanten Anblick in das europäischen Reitgeschehen liefert das 2022 erschienene Buch ‚Sisi’ von Karen Duve. Dieses auf Basis intensiver Quellenforschung entstandene, kurzweilige Buch ist vor allem ein tiefer Einblick in den Lebensalltag der von vielen Autoren und Autorinnen umworbenen Gestalt. Elisabeth von Österreich wird u.a. als eine Extremsportlerin portraitiert, deren Leidenschaft für Jagdreiten legendär war. In der von Karen Duve erschaffenen Sisi können wir entdecken, welcher Kampf-Geist einst und jetzt Menschen antreibt, Pferdesport zu betreiben. Elisabeth reitet in Ungarn, England und Irland einige Saisons auf Fuchs- und Hirschjagden, größtenteils im Damensattel. Bemerkenswert ist, dass in der Zeit der Sisi die Reiterei für adelige Frauen sich geöffnet hatte und auch die eine oder andere Hofdame Reiterin war. Sisi, die von früher Kindheit an die Reitleidenschaft des Vaters teilte, erhielt nach der Hochzeit mit Kaiser Franz Unterricht an der spanischen Hofreitschule. In ihrem Schloss Gödölló liess sie neben der Reitbahn eigens eine Manege einrichten, denn auch der Zirkus hatte eine große Bedeutung für sie.
Die Reitkunst ist zum Ende des 19. Jhd. noch ein Teil der Ausbildung der Adeligen, aber ihre Bedeutung ist Tradition, und nicht mehr aktiv an die Zeit geknüpft. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Aufgabe des Königs Franz Josef anlässlich der Kaiserkrönung 1867 eine vierfache Levade auf erhöhtem Gelände in alle Himmelsrichtungen zu präsentieren. Um dies zu erlernen wurde der sehr bekannte Zirkusdirektor Ernst Renz (1815-1892) als Ausbilder in die Wiener Hofburg geholt, denn der Kaiser war kein geübter Reiter im Sinne der Reitkunst.
Elisabeth von Österreich, die ihre Ausbildung am Hof im Sinn der Reitkunst absolviert hat, reitet selbst im Damensattel über einem Hindernis noch mit einer lässigen Eleganz. Und sie ist stets stilsicher gekleidet.
Zirkustricks und das sogenannte Kunstreiten, eine Akrobatik zu Pferd, heute auch bekannt als Voltigieren, sind die Formen welche ebenfalls den Zeitgeist bestimmen. Fräulein Elise Petzold, Ziehtochter des Zirkusdirektors Renz beispielsweise ist eine berühmte Kunstreiterin. Kunstreiter Gustav Hüttemann und Fräulein Elisa bilden persönlich die Zirkuspferde der Kaiserin, Flick und Flock mit Namen, aus. Sisi gibt aber auch selbst Vorführungen mit den beiden Arabern. Historisch gesichert ist, dass die Pferde in wildem Galopp auf sie zustürmten und in letzter Sekunde stoppten. Die Geburtsstunde der Freiheitsdressur hatte also längstens geschlagen.
Im nächsten Beitrag beschäftigen wir uns mit der Reitbekleidung einer Kaiserin und Gustav Steinbrecht.
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