Kapitel 6 der Serie
Pferd und Reiterin in der Landschaft, eine Bewegung in Form gebracht..
Marie-Charline Herld in einem outfit von CENTAURALSTUDIO auf NIka.
Wie es weiter ging - Rückblick auf das fünfte Kapitel
In diesem Kapitel widmeten wir uns der Kunst an sich, insbesondere jener nach dem großen, einschneidenden Paradigmenwechsel Anfang des 20. Jhd., welcher die moderne Kunst der Gegenwart eingeläutet hat. Speziell haben wir uns mit Josef Beuys befasst, der mit dem erweiterten Kunstbegriff die Techniken der Kunst nicht nur erweitert hat, sondern der in der Kunst sogar eine Möglichkeit einer neuen Gesellschaftsordnung erwogen hat. Er entwickelte mit der Idee der sozialen Plastik den Gedanken, dass jeder Mensch ein Künstler sein kann und an dem grossen gesellschaftlichen Ganzen formend mitwirkt. Wie diese Idee innerhalb der Reitkunst, oder im Umgang mit Pferden bzw. Tieren an sich eine verblüffend einfache Umsetzung finden kann: damit befassen wir uns im letzten Teil dieser Serie.
Die akademische Reitkunst nach Bent Branderup wird von ihm und seinen Schülern in ihrer Umsetzung vornehmlich im Sinn einer Könnerschaft - bis hin zur Meisterschaft - kommuniziert.
Damit liesse sie sich zum Beispiel mit der Kunst eines Musikers vergleichen, welche ein hohes Maß an Können voraussetzt, um zur Virtuosität zu kommen und die erst dann wahrnehmbar werden kann.
Der erweiterte Kunstbegriff ermöglicht eine neuartige Sicht auf die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Pferd, im Grunde dem Tier an sich.
Eine Levade setzt viel Könnerschaft von Seiten der Ausbilderin und des Pferdes voraus
Marie_Charline Herld mit Nika..
Aus einem Gespräch welches 1985 Beuys mit anderen Künstlern geführt hat: ‚Eine unbestimmte Energie wird über den Moment der Bewegung in eine bestimmte Form gebracht, das ist ein Prozess.‘ Auch wenn sich dieses Beuys - Zitat auf Materie bezieht, wird es interessant, die ‚unbestimmte Energie‘ im Lebewesen zu denken. Würde bedeuten, dass also Mensch und Pferd als Partner gleichermassen unbestimmt in den Prozess eintreten. Der Prozess eine Bestimmtheit in der Form intendiert.
Wenn ich dann die Arbeit mit dem Pferd als - künstlerischen - Prozess begreife, also unmittelbar im Moment ich an das Pferd herantrete mir bewusst mache, bereits als Künstler zu agieren, ändert das mein Bewusstsein und macht sehr viel mit der eigenen Haltung.
Ein Künstler gibt sich der Kunst hin und wird Teil einer Bewegung oder Geisteshaltung. Das bedeutet im Umkehrschluss: ich als Künstler kann das Werk auch verderben, oder unkenntlich machen. Als Künstler zu agieren bedeutet ein hohes Maß an Konzentration und Achtsamkeit. Es heisst nicht, irgendetwas zu machen und zu behaupten es sei Kunst.
Im Sinn von Beuys agiere ich bereits als Künstler wenn ich es intendiere vom ersten Moment an. Bereits wenn ich mein Pferd führe bin ich dann achtsam und konzentriert und nicht beiläufig und irgendwie.
Über die Arbeit mit dem Pferd kann man sich dann, diesem Gedanken folgend, in einen künstlerischen Prozess begeben, der, wie wir wissen absolut individuell ist. Ich bin im Dialog mit einer anderen Spezies und es besteht die Möglichkeit tief verbundener Aktion. Wenn man in diesem Sinn künstlerisch mit dem Pferd agiert, gibt es Situationen, die man Flow nennt. Es ist ein Zustand der wie eine Art universelle Verbundenheit empfunden wird und man spürt, dass alles für den Augenblick perfekt ist. Jeder der mit seinem Pferd diesen Flow schon einmal erlebt hat, wird sofort wissen, was gemeint ist.
Man erkennt die Kraft des Flow vor allem danach, nachdem man wieder getrennt ist. Oft hinterlässt Flow ein tief empfundenes Glücksgefühl.
Und es macht Freude.
Wenn man sagt man betreibt Reitkunst, könnte gefragt werden: Wer ist der Maler, wer der Pinsel und wer ist die Leinwand? Oder ist das Pferd das Ausdrucksmedium des Reiters?
Diese Fragen zielen darauf ab das Pferd als künstlerisches Material zu sehen und lösen gerade daher ein Unbehagen aus. Wir erkennen: so kann es nicht gemeint sein, weder historisch, noch im Heute.
Je nachdem wie sensibel unser Pferd ist, lässt es sich nur auf uns ein, wenn wir achtsam und präzise sind. Wir als Künstler müssen enorm an uns arbeiten dem Pferd konzentriert, gerecht und kreativ gegenüber zu treten. Jedes Individuum stellt uns vor neue Herausforderungen und das Pferd benötigt nicht nur statische Technik im Umgang. Wenn wir etwas von ihm wollen braucht es Ideen, die auf seine Persönlichkeit eingehen und damit auch Intuition und Kreativität.
Wenn wir Reitkunst so verstehen agieren wir im Sinn eines erweiterten Kunstbegriffs. Wir behandeln das Pferd als gleichberechtigtes Wesen und erkennen in ihm den künstlerischen Partner. Wenn wir mit dem Pferd arbeiten dann innerhalb eines Prozesses an der gemeinsamen Performance.
Kleine Maulakrobatik
Wie bereits erwähnt ist die Idee der Sozialen Plastik eine Grundidee von Beuys. Wenn ich in diesem Sinne einem Pferd ein positives Miteinander, eine gute Zeit bei und mit mir verschaffe, ist mein formender Input zu dieser Plastik positiv und aufbauend. Es ist damit ein positiver Impuls in die Gesellschaft der Tiere und damit auch für die Menschen.
Wir wissen nicht ob es von Bent Branderup intendiert ist, doch kann man aus meiner Sicht seine Lehre als einen Beitrag zur sozialen Plastik im Sinne von Beuys sehen. Ein Beitrag, der sich weich und undogmatisch in die Köpfe hoffentlich vieler Pferdeliebhaber formt. Entscheidend ist, dass man damit für die Pferde eine gute, gewaltfreie und fördernde Kommunikation gestaltet die uns ermöglicht eine erfüllte Zeit mit ihnen zu verbringen und den Tieren obendrein ein körperliches Wohlbefinden offeriert. Nach all dem was Pferde für uns Menschen in den letzten 3000 Jahren geleistet haben, können wir dem Kollektiv der Pferde hiermit etwas zurück geben. Und im Sinn der sozialen Plastik ist das Kunst.
Ebenso kann akademische Reitkunst als Interaktion und Performance Kunst im Sinn des erweiterten Kunstbegriffs betrachtet werden. Damit gehört sie nicht mehr nur dem Künstler allein, sondern auch dem Betrachter. Sie gehört quasi der Gesellschaft, so wie ein Buch nicht allein dem Autor gehört, sondern dem Leser. Vielmehr das Buch erst seinen Sinn ergibt wenn es auch gelesen wird. Zur Präsentation von Reitkunst eignet sich fraglos die Live Performance, aber auch sehr spannend ist die Fotografie, die manche Momente einfriert und damit sichtbar macht, sowie die Film- und Videokunst. Es entsteht also eine weitere Möglichkeit der Interaktion: eine interdisziplinäre Arbeit. Dazu könnte kommen: ein besonderer Ort für die Präsentation der Reitkunst, oder Aktionskunst wie Happening oder Flashmob, politische Kunst und Inszenierung. Es entsteht die Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit mit anderen Sparten der Kunst, insbesondere den darstellenden Künsten, zum Beispiel Musik und Tanz.
Die Reitkunst ist aber nicht zufällig auch eine Kunst, die man dem erweiterten Kunstbegriff zuordnen kann. Wer sie so erleben will muss eine bewusste Entscheidung dafür treffen.
Kathrin und Charline tragen eine Jaquette_2 - ein Jackenmodell welches einge historische Formen zitiert und dabei modern bleibt.
In einer idealen Welt würden auch keine Unterscheidungen mehr getroffen zwischen Kunst, akademischer Kunst oder Sport. Falls sich alle Reiter als Künstler im Sinne von Beuys verstehen würden, könnte ein Miteinander der ‚Pferdeleute‘ entstehen welches durch grundsätzliche Prinzipien geeint ist. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang die sich bereits abzeichnende Vernetzung von Reitern die nach Branderup et. al. arbeiten. Es bilden sich international Unterzentren, die jeweils von Schülern geleitet werden. Eines davon ist z.B. Equidemia Academy von Celina Skogan.
Obwohl Bent Branderup einen inner circle seiner Schüler klar abgrenzt, hat er seine Lehre als ein open source project angelegt. Er macht aus keiner seiner Erkenntnisse ein Geheimnis und wird nicht müde, mit grosser Verve sein tief ausgelotetes Wissen immer wieder neu zu präsentieren. Sein Verdienst ist die antike und die barocke Lehre für uns anwendbar gemacht zu haben und ihr den tieferen Sinn der Gymnastizierung zu geben. Um daran teilhaben zu können benötigt man keine sonderlichen Vorkenntnisse, es wird aber aufgrund der besonderen Genauigkeit ein Interesse geweckt, das eine oder andere tiefer zu durchdringen. Die akademische Reitkunst schliesst nicht wie die historische Akademie Teile der Gesellschaft bewusst aus. Es wird kein besonders befähigtes Tier einer bestimmten Rasse benötigt und jeder kann mitmachen. Es sind vor allem Frauen, welche gegenwärtig nach der Lehre von Branderup arbeiten und diese verbreiten, was ebenfalls auch für unsere Zeit, blicken wir über Europas Grenzen hinaus, nach wie vor ein Novum ist. Erinnern wir uns an die Klasse Beuys. Für ihn war Kunst nicht der Gegenstand einer gesellschaftlichen Elite und auch nicht auf das männliche Geschlecht beschränkt.
Aus unserer Sicht ist das durch Bent Branderup und seine Schülerinnen und Schüler erarbeitete Wissen um die Reitkunst so wichtig und durchdacht, dass es eine noch weit grössere Ausbreitung haben sollte und als Grundwissen für die Ausbildung der Pferde den Status einer Allgemeinbildung für Reiter haben müsste.
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