Blog Post

Essays zur Reitkunst, 2. Kapitel

Dorothea Ronneburg • 20. Februar 2024

Kapitel 2 der Serie

Ist Reiten Kunst und wenn ja, welche?

Frau mit ihrem Pferdbei der Bodenarbeit, ein Teil der akademischen Reitkunst

Foto: Bei der akademischen Bodenarbeit geht man rückwärts in Bewegungsrichtung des Pferdes.

Wie alles begann - Rückblick auf das erste Kapitel

Im ersten Beitrag haben wir uns mit dem Begriff der akademischen Reitkunst auseinander gesetzt und geklärt, dass er sich vor allem auf die historischen Reitakademien der Spätrenaissance bezieht.
Wir haben uns mit den sog. Vätern der Reitkunst, Xenophon und Grisone befasst und damit einen weiten Bogen sehr kurz gespannt. Diese beiden Autoren sind verbunden durch ihre Bücher, die noch heute einen Stellenwert in der Erforschung der Ausbildungspraxis der Reitpferde vergangener Epochen haben. Doch haben sie die Bücher überhaupt im Bewusstsein geschrieben, dass Reiten eine Kunst sei? Wann ist der Moment, da es im kollektiven Bewusstsein eine Vereinbarung gibt, dass es nicht nur Reiten, sondern es eine Reitkunst ist.



5. Reitkunst: möglicherweise ein Übersetzungsfehler?

Ordine di cavalcare, die Reitlehre des Federico Griso bedeutet wörtlich: ‚Anweisung zum Reiten’

Man könnte annehmen, dass eine Übersetzungsinterpretation den Begriff der Reitkunst eingeführt hat. In der Übersetzung von Johan Fayser hat das 1570 in Augsburg gedruckte Buch den Titel:

„ Künstlicher Bericht und allerzierlichste beschreybung des Edlen, Vhesten, vnnd Hochberümbten Ehrn Friderici Grisonis Neapolitanischen hochlöblichen Adels: Wie die Streitbarn Pferdt (durch welche Ritterliche Tugenften mehrers theils geübet) zum Ernst und Ritterlicher Kurtzweil geschickt und volkommen zumachen.“

Das Buch beginnt mit einer Vorrede: „Aus den Ritterlichen Künsten ist die Pferdezucht/meines erachtens/die schönst (…)“


Aus Ritterlicher Kunst wird Reitkunst?

Johan Fayser ignoriert hier die im ersten Beitrag angesprochene Teilung in ‚Fähigkeiten‘ und ‚artes‘ und macht die Pferdezucht zu einer ‚Ritterlichen Tugend’, wo sie begrifflich eigentlich gar nicht hingehört. Ritterliche Tugenden sind ethische Werte wie beispielsweise Treue, Anstand, Demut, Freundlichkeit. Der Gedanke liegt durchaus nahe, dass aus der im Buch beschriebenen ‚Ritterlichen Kunst‘ für die späteren Rezeptoren Reitkunst wurde.


In der Tat ist das Buch eine Lehre zur Ausbildung des Pferdes für die ritterlichen Turnieraufgaben, also Ringe stechen, Tjost, Schwertkampf. Die deutsche Ausgabe ist reich bebildert und man kann deutlich die wiederkehrende Arbeit auf Zirkel und Volte erkennen. Eine digitalisierte Originalausgabe befindet sich hier. Sehr interessant ist die lange Vorrede, welche sich vor allem mit der Auswahl des geeigneten Pferdes befasst.

Übersetzer gesucht!

Folgende Fragen werfen sich auf: Was bedeutet ‚Hipparchikos <technees>’ und 'Peri hippikes <logos>' jene Buchtitel des Xenophon, im Wortsinn? Wer kann Altgriechisch und es wortwörtlich übersetzen, denn die Internet Übersetzer können es nicht. Obwohl Xenophon und auch Grisone als die ‚Väter der Reitkunst‘ gelten, haben sie Ihre Schriften nicht im Sinne der Kunst betitelt. Wer weiss etwas darüber, oder möchte übersetzen?

6. Reitkunst zur Zeit des Absolutismus

Antoine de Pluvinel

Sehr einflussreich für die Nachwelt wurde Antoine de Pluvinel, (1555 - 1620) der als Reitlehrer des französischen Königs Ludwig XIII in seinen illustrierten Büchern einen Eindruck vermittelt, wie ausgebildet wurde und was. Sein Werk ‚La Manège Royale‘ erschien postum und ist ein Kunstwerk an sich. Die zahlreichen Kupferstiche bieten uns heute einen Eindruck des Zeitgeistes und wie genau man die Lektionen bereits entwickelt hatte. Sein Credo war der eines gewaltlosen Umgangs mit dem Pferd. Im Übrigen ist es in dialogischer Form geschrieben. Die Renaissance wirkt hier noch nach.

Reiten in der Aura eines barocken Königs zu erlernen blieb schon allein aus Kostengründen einem elitären Kreis vorbehalten, und wurde in der Zeit des Absolutismus wieder ganz vom Adel vereinnahmt. Die Reitakademie wurde zu einer Bildungseinrichtung für den jungen Adeligen und vermittelte noch andere, ehemals dem ritterlichen Ausbildungskanon entstammende Fertigkeiten wie Tanzen, Fechten und Musizieren.

Mit Sicherheit war dies eine Form der Privatschule und somit eine Einrichtung, die Prestige verhiess, genauso wie das Rassepferd.

Für die Barocke Adelsgesellschaft war das speziell veranlagte Pferd quasi ein ‚must have‘, und insbesondere die Königshäuser züchteten vornehmlich aus spanischen Pferden eigenen Linien. Die Bildwerke der Zeit sprechen für sich. Wer auf sich hielt, liess sich in einer Levade, Piaffe oder Passage auf einem herrlichen Pferd malen. Das Zentrum der einflussreichen Reitlehre war nun nach Paris, dem Epizentrum des Barock gerückt. Die ehemals italienischen Begriffe für die Lektionen wurden partiell ins Französische übertragen, wie Levade, Travers, Renvers, Piaffe oder Passage.

Kupferstich aus dem Buch 'La Manège royal'

Ecuyer du Roy

François Robichon de la Guérinière (1688 - 1751) trat im idealistischen Sinn die Nachfolge des Pluvinel an. Auch er war ein Ecuyer du Roy, ein Reitlehrer des Königs, in diesem Fall Ludwig XV und leitete die Reitschule der Tuilerien. Auch er war der Autor eines wichtiges Werkes: ‚Ecole de Cavalerie, contenant La Connoissance, l’Instruction, et a Conservation du Cheval. Avec figures en Taille-douce. Avec Approbation et Privilege du Roi.’ Dieser Titel wird in der aktuellen deutschsprachigen Ausgabe munter übersetzt mit: „Reitkunst oder gründliche Anweisung zur Kenntnis der Pferde, deren Erziehung, Unterhaltung, Abrichtung, nach ihrem verschiedenen Gebrauch und Bestimmung.“ Auch hier finden wir im französischen Titel keinen Hinweis darauf, dass der Begriff Reitkunst in Frankreich genutzt worden wäre. Vielleicht ist er auf den deutschsprachigen Raum beschränkt?

Ars Equitandi

Im 2020 erschienenen Buch ‚Ars equitandi‘ von Stefanie Stockhausen siedelt die Autorin den Begriff der Reitkunst in der frühen Neuzeit an. Das ist im Grunde der grosse Zeitabschnitt, den wir hier bereits seit Grisone überspannt haben und an den auch die europaweit existierenden Reitakademien geknüpft sind.

Gehen wir also davon aus, daß sich die Reitkunst als Begriff für eine gesellschaftliche upper class etabliert hat und diese Kunst zu pflegen, möglicherweise ähnlich wie man ein Musikinstrument spielen, eine Fremdsprache lernen, eine Dame im Tanz oder einen Degen zu führen weiss, eine Sache des Prestiges, und dem männlichen Geschlecht vorbehalten ist. Die dazu gehörige Institution ist eine Reitakademie.



Illustration aus dem Eisenberg Zyklus, Mitte 18.Jhd. Piaffe auf gerader Linie

6. Goethe und die Reitkunst

Einen echten Alltagseinblick in das Reitenlernen dieser Zeit liefert uns kein anderer als Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832). In ihrem Artikel ‚Goethe and the Aesthetics of Equestrian Art‘ (2022) zitiert wiederum die Autorin Stefanie Stockhausen den Dichter.

Die pedantische Behandlung dieser schönen Kunst war mir höchlich zuwider. […]
Übrigens schien der Unterricht nur auf Prellerei und Beschämung der Scholaren angelegt. Vergaß man die Kinnkette ein- oder auszuhängen, ließ man die Gerte fallen oder wohl gar den Hut, jedes Versäumnis, jedes Unglück mußte mit Geld gebüßt werden, und man ward noch obenein ausgelacht. Dies gab mir den allerschlimmsten
Humor, besonders da ich den Übungsort selbst ganz unerträglich fand. Der garstige, große, entweder feuchte oder staubige Raum, die Kälte, der Modergeruch, alles zusammen war mir im höchsten Grade zuwider; und da der
Stallmeister den andern, weil sie ihn vielleicht durch Frühstücke und sonstige Gaben, vielleicht auch durch ihre Geschicklichkeit bestachen, immer die besten Pferde, mir aber die schlechtesten zu reiten gab, mich auch wohl warten ließ, und mich wie es schien hintansetzte: so brachte ich die allerverdrießlichsten Stunden
über einem Geschäft hin, das eigentlich das lustigste von der Welt sein sollte.


(Dichtung und Wahrheit, I. 4; FA, XIV, 163)

Dieses Zitat referenziert auf den Teenager Goethe, denn aufgrund der hervorragenden Recherche von Stefanie Stockhausen wissen wir, dass er laut den Büchern seines Vaters Reitunterricht an einer Reitschule in Frankfurt, betrieben von Ambrosius Runckel, erhalten hat. Sein Eindruck und seine Gefühle sind sicher für viele Reiterinnen und Reiter sehr lebendig nachvollziehbar.


Quelle: Stefanie Stockhorst (2022) Goethe and the Aesthetics of Equestrian Art, Publications of the English Goethe Society, 91:1, 58-74, DOI: 10.1080/09593683.2022.2027735 (in englischer Sprache)




Im nächsten Beitrag widmen wir uns dem Einfluss Grossbritanniens, Preussens und dem Krieg.


Teilen

Leichte Hand am Zügel
von Dorothea Ronneburg 30. März 2024
Könnte man die Akademische Reitkunst, auch dem erweiterten Kunstbegriff nach Beuys zuordnen? Könnte die Reitkunst ein positiver Beitrag zur sozialen Plastik sein? Diesen Fragen widemt sich der letzte Beitrag.
Pferd sucht nach einer streichelnden Hand
von Dorothea Ronneburg 20. März 2024
Umbruch in die Moderne Anfang des 20 Jhd. Josef Beuys erweitert den Kunstbegriff und fügt noch Ideen wie die soziale Plastik hinzu, im Grunde eine Möglichkeit über die Kunst und ihren Ethos die Gesellschaft neu und friedlich zu ordnen.
Ausbilderin mit ihrem Pferd am Kappzaum
von Dorothea Ronneburg 7. März 2024
Fin du siecle: Reitkunst ist eine Sache der Damen geworden. Gustav Steinbrecht schreibt sein Buch 'Das Gymnasium des Pferdes', Kaiser Wilhelm II von Hohenzollern glaubt an einen Fortbestand der Welt mit Pferden.
Share by:
Consent Preferences